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Freiheit als hohes Gut der Stadtgemeinde: Der Mühlhäuser Rezess vom 3. Juli 1523

 Stadt und Bürger

Der Mühlhäuser Rezess von 1523 warf die ersten Schatten des Bauernkrieges von 1525 voraus: In einer Zeit der kirchlichen Veränderungen mit Martin Luther, Thomas Müntzer und weiteren Reformatoren kam auch der Wunsch nach mehr bürgerlicher Mitbestimmung auf. Mühlhausen, die freie Reichsstadt, besaß um 1520 etwa 8.000 Einwohner von der Kernstadt bis zum Landgraben. Jedoch nur etwa 120 Bürger waren als Rat der Stadt zu politischen Entscheidungen befähigt, viele weitere besaßen überhaupt kein Mitbestimmungsrecht.

Bereits im Frühjahr 1523 hatten Bürger Vertreter aus den Stadtvierteln Blieden-, Hauptmann-, Jakobi- und Neulaubenviertel bestimmt, um ihre Interessen beim Rat der Stadt zu vertreten. Diese wurden Achtmänner genannt und schlossen sich mit weiteren Männern des 40er-Ausschusses zusammen. In geheimen Zusammenkünften beschlossen diese Männer, dem Rat der Stadt einen Forderungskatalog mit zahlreichen Verbesserungsvorschlägen vorzulegen. Dieser Katalog wurde dem Rat am 13. Mai 1523 – am Tag vor Christi Himmelfahrt – übergeben. Der Rat versprach, den 55 Punkten zustimmen zu wollen, erbat sich jedoch Bedenkzeit, auch um dem bürgerlichen Ausschuss Zugeständnisse abzuringen und eine Entscheidung hinauszuzögern.

Diese Verzögerung rief allerdings den Unmut der Bevölkerung hervor: In einem nächtlichen Auflauf Mitte Juni 1523 wurde einigen Ratsmitgliedern lautstark gedroht, ihre Häuser zu erstürmen. In der gesamten Stadt herrschte eine aufgeheizte Stimmung, die durch die Verzögerungstaktik des Rates nur gesteigert wurde, bis die Geduld der oppositionellen Bürger endgültig aufgebraucht war und es zu dieser öffentlichen Auseinandersetzung kam:

Nach wiederholtem Scheitern einer Einigung zu den geforderten Punkten verließen einige Oppositionelle am 3. Juli 1523 die Verhandlungen im Rathaus. Sie schlossen die Ratsherren dort ein und läuteten die Sturmglocken in St. Jakob. Auf diese Weise wurde die Gemeinde mit Waffen zusammengetrommelt und der Druck auf die im Rathaus eingesperrten Räte erhöht. Die Mobilisierung der Bürger war überaus erfolgreich: Eine beachtliche Menschenmenge kam vor dem Rathaus zusammen und erzwang allein durch ihre bedrohliche Anwesenheit eine vollständige Zustimmung des Rates zu sämtlichen 55 Forderungen der oppositionellen Bürger.

Eine zeitgenössische Abschrift des Forderungskataloges (auch „Mühlhäuser Rezess“ genannt), die noch immer in der Stadt Mühlhausen im reichsstädtischen Archiv unter der Signatur StadtA Mühlhausen, 10/K 3, Nr. 1b vorliegt, gibt bis heute einen Eindruck von den umfangreichen Themen:

  • Die Freiheit als hohes Gut der Stadtgemeinde Mühlhausen langfristig zu erhalten, wurde in Artikel 7 geregelt: „[…] daß di selbige gemeiner stad zu nucz in orre freyheytt zu bleyben gehandhabt werden sollenn.“. Hier (vgl. Abbildung) verpflichtete sich der Rat, kaiserliche und königliche Privilegien für die Stadt bekannt zu machen und diese zum Wohle der Stadt und ihrer Bürger zu nutzen.
  • Ein Großteil der Forderungen widmete sich den Fragen der Zinspolitik der Stadt.
  • Ein geringerer Anteil der geforderten Punkte beinhaltete freie Jagd, Fischerei und Weide als Gemeinrecht.
  • Der Rat gestand die Öffnung des privat genutzten Lindenbühls für die Mühlhäuser Gesamtbevölkerung zu.
  • Politisch sollten die Achtmänner mehr Mitbestimmungsrechte in der städtischen Verwaltung und eine gewisse Aufsichtsfunktion über den Rat erhalten.
  • Sonderprivilegien des Rates sollten minimiert werden.
  • Die Verkleinerung des Rates mit einer stärkeren Einbindung der Bürger bei politischen Vorgängen war ein weiterer Punkt.

Interessanterweise sind lediglich drei Artikel echten reformatorischen Inhalts. Sie hätten bei ihrer tatsächlichen Umsetzung eine hohe Durchschlagkraft für die Reformation bedeutet und den Weg für eine politisch gestützte Verweltlichung der Klöster geebnet, so die Einschätzung Thomas T. Müllers:

  • Der Rat sollte Sorge tragen, die Pfarrkirchen mit guten evangelischen Predigern zu versorgen.
  • Alle austrittswilligen Mönche und Nonnen der auf städtischem Territorium liegenden Klöster entsprechend zu entschädigen und gewähren zu lassen.
  • Gefordert war die Einrichtung eines Kastens zur Unterstützung Armer und Notleidender; der Gotteskasten gilt als typisches Element der Reformation.

Jedoch war die Reformation eindeutig nicht das Hauptanliegen der bürgerlichen Opposition, sondern stand gleichberechtigt neben den stadtpolitischen Verbesserungen. Für die Mitwohner in den Vorstädten und die Bewohner der reichsstädtischen Dörfer brachte der Rezess vom 3. Juli 1523 überhaupt keine Änderungen hervor. Eine Erfüllung der Forderungen nach dem Bauernkrieg war letztendlich nur bei der Verkleinerung des Rates auf je 24 Mitglieder in drei Gremien langfristig gegeben. Der Rezess von 1523 war dennoch ein Kind seiner Zeit und gibt Einblicke in ein Zeitalter des Umbruchs.

Autoren: Antje Schloms (Referentin für Stadtgeschichte Stadtarchiv Mühlhausen), Birte Frerichs (Stadtmarketing Stadt Mühlhausen)


Literatur: Thomas T. Müller: Mörder ohne Opfer. Die Reichsstadt Mühlhausen und der Bauernkrieg in Thüringen. Petersberg 2021, S. 193-233. Gerhard Günter: Die innerstädtische Bewegung in der Reichsstadt Mühlhausen und die Aktionen im Bauernkrieg 1523 bis 1525. In: Bauernkrieg zwischen Harz und Thüringer Wald, hrsg. von Günter Vogler, Stuttgart 2008, S. 91-111.

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Ausschnitt des Rezesses vom 3. Juli 1523, StadtA Mühlhausen, 10/K 3, Nr. 1b, fol. 2v.